Datei:vds2.php
Erstellt:29.12.2011
Aktualisiert:29.12.2011
  

Vorratsdatenspeicherung II.

Am 27.12.2011 verstrich die verlängerte Frist der EU zur Um­setzung der Direktive 2006/24/EG zur Vor­rats­daten­speicher­ung (VDS) und Deutsch­land droht nun also ein Ver­fahren vor dem euro­päischen Gerichts­hof. Des­halb ist die VDS aktuell wieder ein Thema in der Politik, denn das Bundes­verfassungs­gericht (BVerfG) hatte die in der Zeit vom 01.01.2008 bis 2010 bestehende Regelung im März 2010 für Ver­fassungs­widrig erklärt. Seither wurde kein neues Gesetz ver­ab­schiedet.

Die zuständige Justiz­ministerin Sabine Leut­heusser-­Schnarren­berger findet die anlass­lose Spei­cher­ung von Tele­kommunikations- Ver­bindungs­daten aller Bürger un­verhältnis­mäßig und möchte des­halb das Ergeb­nis einer ohne­hin an­stehenden Über­prüfung der EU-­Richt­line abwarten. Eine vernünftige Ein­stellung, denn immer­hin hat das BVerfG die einst bestehende Regel­ung nicht ohne Grund verworfen. Und es gibt Mit­glieds­staaten, wie bei­spiels­weise Rumänien, die die anlass­lose Spei­cher­ung dieser Daten als Menschen­rechts­widrig ein­gestuft, und die Um­setzung der Richt­linie des­halb recht­mäßig ver­weigert haben. Auch Deutsch­land hätte die Um­setzung der VDS ver­weigern können, wenn das BVerfG zu der Über­zeugung gekommen wäre, daß die Richt­linie gegen das Grund­gesetz ver­stosse. Jedoch hat das BVerfG ent­schieden, daß die VDS unter be­stimmten Voraus­setungen grund­sätzlich mit der Ver­fassung zu ver­ein­baren wäre. Der irische High Court hat sich mit Urteil vom 05.05.2010 hingegen dazu ent­schieden, dem EU-­Gerichts­hof die Frage vor­zulegen, ob die Richt­line 2006/24/EG gegen die Ende 2009 in Kraft ge­tretene EU-­Grundrechte­charta verstößt. Es macht durch­aus Sinn, das Er­gebnis ab­zuwarten.

Das Verstreichen der Frist am 27.12.2011 wird von den Befür­wortern der VDS nun zum will­kommenen Anlaß genommen, wieder ein­mal laut­stark auf die Wieder­ein­führung der VDS zu drängen. Aber auch, um die zögernde Bundes­justiz­ministerin in den Medien öffentlich des Rechts­bruchs zu be­schul­digen. Es verstoße gegen gelten­des Recht, die EU-­Richt­linie nicht umzu­setzen, so Bosbach und Uhl und sie tun dabei so, als wäre die Nicht­um­setzung der Richt­linie eine schwer­wiegende und einzig­artige, nicht hin­nehm­bare Ver­fehlung inner­halb der EU. Das soll wohl in der Bevölkerung Empörung aus­lösen und das Ansehen der tapferen Justiz­ministerin beschädigen. Daß dies der gezielte Ver­such der Ver­un­glimpfung der Person Leutheusser-­Schnarren­berger ist, zeigt sich unter anderem darin, daß die Herren Bosbach und Uhl in ihren öffen­tlichen Be­schuldi­gungen ver­schweigen, daß es in Deut­schland sozu­sagen Gang und Gäbe ist, EU-­Richt­linen und Vor­gaben nicht um­zusetzen, die der hiesigen Poli­tik nicht in den Kram passen. Selbst drohende Straf­zahlungen werden dabei in Kauf genommen. So sind zum Zeit­punkt der Er­stel­lung dieses Artikels über 20  Ver­trags­verletzungs­ver­fahren gegen Deut­schland anhängig (siehe Seite 17). Eine unvoll­ständige Auflistung gibt es hier  .

Wenn Deutschland die EU Richtlinie 2006/24/EG also vorerst nicht um­setzt, ist das keines­falls ein so außer­ordent­licher Vor­gang, wie uns die Union­spolitiker gerne weiß machen wollen. Im Gegen­teil. Wenn man gleich­zeitig be­trachtet wie sehr diese Herren die VDS herbeiwünschen, ent­larvt sich das syste­matische Ver­schweigen der ganzen Wahr­heit als gezielte Des­information. Nicht die Nicht­umsetzung der Richt­linie ist also der Skandal, sondern die Art und Weise, wie Unions­politiker ver­suchen, die öffent­liche Meinung durch ein­seitige und falsche Dar­stellung von Tat­sachen zu mani­pulieren.

Dazu gehört auch, daß Unionspolitiker immer wieder ver­suchen, die VDS als als eine Idee der EU zu ver­kaufen. Das ist ein glatte Lüge und daher Grund genug, einmal das Zu­standek­ommen der EU-­Richt­line zu be­leuchten. Denn tat­sächlich ist die EU-­Richt­linie das Er­gebnis vor­nehmlich deutscher Be­strebungen:

Im Jahr 1996 legte die Bundes­regierung den Ent­wurf für ein neues Tele­kom­munikations­gesetz vor. Die Innen­minister der Bundes­länder nutzen die Gunst der Stunde und ver­suchten schon damals eine VDS ein­zuführen. In der Stellung­nahme des Bundes­rates for­derten sie, neben einer Höchst-­ auch eine Mindest­speicher­dauer von Tele­kom­munikations-­ Ver­bindungs­daten im Gesetz fest­zulegen. Das war die Geburts­stunde der Idee einer VDS. Hier in Deutschland.

Der Bundesrat scheiterte aber, denn die Bundes­regierung sah in der Fest­schreibung einer Mindest­speicher­dauer eine unzulässige Spei­cherung von Daten auf Vor­rat. Und hier taucht auch erst­mals der Be­griff der Vorratsdatenspeicherung auf. Mit der Ab­lehnung durch die damalige Bundes­regierung wäre die VDS eigent­lich vom Tisch gewesen. Aber die Kon­ferenz der Innen­minister for­derte in einem Be­schluss am 24.11.2000 er­neut, die VDS ein­zu­führen. Wieder er­folg­los. Nach den Terror­an­schlägen in den USA wit­terten die Innen­minister eine gute Chance und die Länder Bayern und Thüringen legten einen Ge­setz­en­twurf zur Ver­besser­ung des straf­recht­lichen In­strument­ariums vor, der wieder eine VDS enthielt. Der Entwurf wurde am 22.03.2002 mit der Mehr­heit im Bundes­rat ab­gelehnt. Hart­näckig, wie die Befür­worter dieser Idee sind, haben sie es schließ­lich so gemacht, wie kleine Kinder es tun. Wenn Mama nein sagt, geht man zu Papa und versucht es eben dort. Und so wurde die Idee der VDS von deutschen Politikern(!) nach Brüssel ge­tragen und dort massiv voran ge­trieben.

Der Haken dabei war jedoch, daß sich die EU eigentlich nicht in die innere Sicher­heit der Mit­glieds­staaten ein­mischen darf. Also hat man die VDS kurzer­hand zu einer notwendigen Maß­nahme zur Har­monisierung in der EU er­klärt. Das Argu­ment war, die An­bieter von Tele­kom­munikations-­dienst­leis­tungen müßten aus Wett­bewerbs­gründen in der ganzen EU gleiche Be­dingungen vorfinden, wozu auch die Dauer der Daten­speicherung geregelt werden müsse. Auch hier zeigt sich die Hart­näckigkeit und Dreistig­keit der Befür­worter der VDS, denn das Argu­ment, die Speicher­dauer müsse aus Wett­bewerbs­gründen har­monisiert werden, ist nur zu leicht als ein billiger Trick zu durch­schauen. Jedem auch nur halb­wegs klar denkendem Mensch dürfte klar sein, daß die Ver­pflich­tung zur Speicher­ung von Tele­kom­munikations-­Verbindungs­daten auf Vorrat nur einer Sache dient, nämlich der Straf­verfolgung und damit eine An­gelegen­heit der inneren Sicher­heit der jeweiligen Mit­glieds­staaten ist.

Gerade weil dieser Trick so offen­sichlich war, strengte Irland im Jahr 2006 eine Klage beim EuGH an (Az.C-301/06), um fest­stellen zu lassen, ob die EU über­haupt das Recht hatte, eine solche Regelung auf dieser Basis zu erlassen. Die Klage scheiterte jedoch wie zu erwarten, denn man hätte ja sonst die arg­listige Definitions­ver­drehung ein­räumen müssen.

Wenn uns Unions­politiker heute also sagen, die Richt­linie käme aus der EU und müsse um­gesetzt werden, dann ist auch das nur die halbe Wahr­heit. Die Idee einer an­lass­losen Speicherung von Tele­kom­munikations- Ver­bindungs­daten un­schuldiger Bürger auf Vorrat ist die Idee deutscher Politiker, die hier zunächst scheiterten und dann den Umweg über Brüssel genommen haben.

nach oben