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Erstellt:05.03.2010
Aktualisiert:05.03.2010
  

Ein schwarzer Tag für Deutschland


Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

Es ist Dienstag, der 02.03.2010, 10 Uhr vor­mittags. Das Fern­sehen über­trägt das lang er­wartete Ur­teil des Bundes­verfassungs­gerichts (BVerfG) zur Vorrats­daten­speicher­ung (VDS). Die gesetz­lichen Regel­ungen der VDS sehen vor, daß sämtliche Tele­kommunika­tions- Verbindungs­daten aller Bürger ohne jeden Ver­dacht für sechs Monate auf Vor­rat ge­speichert werden, um mit­tels Tele­kom­munikation be­gangene Straf­taten auch Mo­nate später noch auf­klären zu können. Ge­speichert werden nach die­sem Gesetz wer mit wem tele­foniert und wie lange das Ge­spräch dauert. Auch der Ort, an dem sich die Kom­muni­zierenden auf­halten, wird präsize ge­speichert. Im Inter­net wird auf­gezeich­net, wer welche IP-Adres­se zu welchem Zeit­punkt benutzt. Bei Kom­munika­tion mit­tels E-Mail wird ge­speichert, wer wem wann und von wo aus eine E-Mail schickt. Außer­dem wird die Betreff­zeile der Mail ge­speichert. Gegen diese verdachts­lose Über­wachung haben unter anderem rund 34.000 Bürger geklagt.

Die ersten Worte von Hans-Jürgen Papier lassen noch hoffen, denn mehr­mals wird verkündet, daß diese und jene Regel­ungen des Tele­kommunikations­gesetzes nichtig sind. Doch schon wenige Sätze später schlägt die Freude in eine tiefe Bestürz­ung um, denn es wird klar, daß mit diesem Urteil ein wichtiges Grund­recht, welches einst von eben­diesem Gericht in richter­licher Rechts­fort­bildung er­schaf­fen wurde, nun wieder zu großen Teilen zu Grabe ge­tragen wird. Die Rede ist vom Recht auf infor­mationelle Selbst­bestim­mung.

Rückblende: Am 15.12.1983 sprach das BVerfG das sogenannte Volks­zählungs­urteil. Im Rahmen dieses Urteils kriti­sierte das Gericht das über­hand nehmen­de In­formations­be­gehren des Staates über seine Bürger und stellte das Recht auf in­formatio­nelle Selbst­bestim­mung heraus, welches als weitere Aus­prägung den all­gemeinen Persön­lich­keits­rechten hinzu­gefügt wurde. Die in­formatio­nelle Selbst­bestim­mung ent­stand so durch richter­liche Rechts­fort­bil­dung aus den Artikeln 1 (1) GG (Menschen­würde) und 2 (2) GG (all­gemeine Hand­lungs­frei­heit) des Grund­gesetzes.

Das Recht auf in­formatio­nelle Selbst­bestim­mung, nach­folgend kurz ISB ge­nannt besagt, daß jeder Mensch grund­sätz­lich selbst darüber ent­scheiden darf, ob und wem er seine personen­be­zogenen Daten zu welchem Zweck preis­gibt. Mit der Ent­wick­lung des Rechts auf ISB stellte das BVerfG klar, daß per­sonen­bezogene Daten kein frei zu­gäng­liches In­formations­material sind und der Zugriff eine be­gründungs­be­dürftige Aus­nahme ist.

Seit damals hat das BVefG in allen seinen Urteilen dieses Grund­recht geschützt und gestärkt. So zum Bei­spiel am 14.07.1999 im Urteil 1 BvR 2226/94. Zitate aus diesem Urteil:

  • In der Ab­schirm­ung des Kom­munikations­inhalts gegen staat­liche Ken­ntnis­nahme er­schöpft sich der Grund­rechts­schutz jedoch nicht. Er umfaßt eben­so die Kom­munikations­um­stände. Dazu gehört ins­besondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Per­sonen oder Fern­melde­anschlüs­sen Fern­melde­ver­kehr statt­gefunden hat oder ver­sucht worden ist.
  • Mit der grund­recht­lichen Verbürgung der Unver­letz­lich­keit des Fern­melde­geheimnis­ses soll ver­mieden werden, daß der Mein­ungs- und In­formations­aus­tausch mit­tels Fern­melde­anlagen des­wegen unter­bleibt oder nach Form und In­halt ver­ändert ver­läuft, weil die Be­teilig­ten damit rechnen müssen, daß staat­liche Stel­len sich in die Kom­munikation ein­schalten und Ken­ntnis­se über die Kom­munikations­bezieh­ungen oder Kom­munikations­in­halte gewinnen.
  • Insoweit lassen sich die Maßgaben, die das Bundes­verfas­sungs­gericht im Volks­zählungs­urteil aus Art. 2 Abs. 1 in Ver­bindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ent­wickelt hat, weit­gehend auf die speziel­lere Garan­tie in Art. 10 GG über­tragen.
  • Eine Sammlung nicht ano­nymi­sierter Daten auf Vor­rat zu un­bestim­mten oder noch nicht bestimm­baren Zwecken wäre damit un­verein­bar.

In einem anderen Urteil vom 12.03.2003 mit dem Akten­zeichen 1 BvR 330/96 meinte das BVerfG:

  • Das Fern­melde­geheim­nis schützt zwar in erster Linie den Kom­munikations­inhalt, umfasst aber ebenso die Kom­munikations­um­stände. Dazu gehört ins­besondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Per­sonen oder End­ein­richt­ungen Tele­kom­munikations­verkehr statt­gefunden hat oder ver­sucht worden ist.
  • Das Gewicht des Straf­ver­folgungs­inter­esses ist ins­besondere von der Schwere und der Be­deut­ung der auf­zu­klärenden Straf­tat ab­hängig. Inso­fern genügt es ver­fas­sungs­recht­lichen An­forder­ungen nicht, dass die Er­fas­sung der Ver­bindungs­daten all­gemein der Straf­ver­folgung dient. Voraus­ge­setzt sind viel­mehr eine Straf­tat von er­heb­licher Be­deutung, ein konkreter Tat­verdacht und eine hin­reichend sichere Tat­sachen­basis für die Annahme, dass der durch die An­ord­nung Be­troffene als Nach­richten­mittler tätig wird.
  • Voraus­setzung der Er­hebung von Ver­bindungs­daten ist ein konkreter Tat­verdacht. Auf Grund be­stim­mter Tat­sachen muss an­zu­nehmen sein, dass der Be­schuldigte mit hin­reichender Wahr­schein­lich­keit Straf­taten von er­heb­licher Be­deu­tung begangen hat.

Mit dem Urteil vom 02.03.2010 zur Vorrats­daten­speicher­ung ver­abschiedet sich das BVerfG von diesen hohen Maß­stäben. So­fern das Ge­richt nicht selbst den Wider­spruch zu früheren Urteilen, ins­be­sondere zu dem zu­letzt ge­nan­nten Zitat sieht, wonach die Er­heb­ung der Daten nur bei kon­kretem Tat­ver­dacht er­folgen darf, dann wohl nur des­halb, weil es die Er­heb­ung nur dann als Er­heb­ung be­trachtet, wenn sie durch den Staat selbst erfolgt, nicht aber wenn sie im Auf­trag des Staates er­folgt. Wäre das die Sicht­weise des Gerichts, dann dürfte ich das mit Fug und Recht als Spitz­findig­keit be­zeich­nen.

Hans-Jürgen Papier ver­kündete am 02.03.2010 im Namen des Volkes, daß eine sechs­monatige, vor­sorg­lich anlass­lose Speicher­ung von Tele­kom­munikations­verkehrs­daten durch private Dienste­an­bieter, wie sie die Richt­linie 2006/24/EG des Euro­päischen Parla­ments und des Rates vom 15. März 2006 vorsieht, mit Art. 10 GG nicht schlech­thin un­verein­bar sei.

Mit anderen Worten hält das BVerfG nun im krassen Wider­spruch zu frü­heren Ur­teilen eine Vorrats­daten­speicher­ung grund­sätz­lich für Ver­fassungs­konform. Ein schwarzer Tag für Deutsch­land, für unsere frei­heit­liche Grund­ord­nung und für die Grund­rechte aller Bürger.

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