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Erstellt:20.12.2007
Aktualisiert:30.01.2009
  

Übergesetzlicher Notstand

 

Die "Passauer Neuen Presse" berichtete weiter, Schäuble habe Formulierungsvorschlge für eine Grundgesetzänderung vorbereitet, nach denen der Abschuss von Flugzeugen ermöglicht werden soll, auch wenn unschuldige Menschen an Bord sind. Die Zeitung zitiert aus einem Papier, nach dem bei einer Bedrohung mit einem gekaperten Flugzeug ein klassischer Verteidigungsfall vorliege und deshalb die Bundeswehr eingesetzt werden könne.
Reuters 19.09.2007

Sehr geehrte Volksvertreter,


 

Ihre Sicherheitspolitik läßt sich mit einfachen Worten umreißen, denn Sie wollen einfach nur tun und lassen können, was Sie wollen. So wollen Sie heimlich die Festplatten der Bürger durchsuchen können oder nun sogar vollbesetzte Flugzeuge präventiv abschießen. Es ist doch angesichts dieser haarsträubenden Allmachtsphantasien, fernab aller rechtsstaatlicher Grundprinzipien völlig klar, daß Sie mit diesen Vorstellungen mit unserer höchsten moralischen Instanz, nämlich dem Grundgesetz in Konflikt geraten.

Anstatt sich damit abzufinden, daß Ihnen unsere Rechtsordnung wohlbegründete Grenzen setzt, möchten Sie einfach die Gesetze ändern. Und wo das nicht ausreicht, eben auch gleich noch das Grundgesetz. Wer in Geschichte aufgepaßt hat, der weiß, daß es so etwas schon einmal gab. Nämlich das berühmte Ermächtigungsgesetz, welches damals praktisch die Weimarer Verfassung außer Kraft setzte. Und Sie schicken sich heute an, das Grundgesetz sukzessive außer Kraft setzen. Damit machen Sie den Menschen Angst, denn indem Sie die Grenzen unserer Verfassung nicht akzeptieren und unersättlich immer neue Befugnisse und Grundrechtseingriffe gegen die Bürger einfordern, demonstrieren Sie genau jene unberechenbare  staatliche Willkür,  vor der man noch vor wenigen Jahrzehnten Angst haben mußte. Ein Grundgesetz, welches von der Politik praktisch nach Belieben geändert, oder bei Nichtgefallen einfach ignoriert wird, ist nichts mehr wert, denn es schützt den Bürger nicht mehr.

Wir alle wissen, daß unser Grundgesetz entstanden ist, damit sich die Fehler vor- und während des Nationalsozialismus niemals mehr wiederholen. Und nun wollen Sie praktisch diese Sicherheitsmechanismen aushebeln und den Staat legitimieren, einfach alles tun zu dürfen, was Ihnen zweckmäßig erscheint. Unter dem Motto, daß der Zweck die Mittel heiligt, möchten Sie jene fundamentalen Grundwerte über Bord werfen, auf die wir bis heute so stolz sein konnten, z.B., daß jeder Mensch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit genießt oder daß seine Menschenwürde unantastbar ist. Diese grundsätzlichen Werte möchten Sie wegen ein paar kurzfristigen, jedoch zweifelhaften Erfolgen im Kampf gegen Terror und Kriminalität zur Disposition stellen.

Selbst wenn in unserem Land der Terror an der Tagesordnung wäre und täglich Menschen sterben würden, dürfte das aber noch lange kein Grund sein, unsere Grundwerte so leichtfertig über Bord zu werfen. Denn dann hat der Terror sein Ziel erreicht. Was möchte der Staat denn gegen den Terrorismus noch verteidigen, wenn er selbst jene Grundwerte beseitigt, die er vorgibt, vor ihm verteidigen zu wollen?

Der Abschuß einer entführten Passagiermaschine

So schamlos tricksen deutsche Politiker das Grundgesetz aus:

Das Bundesverfassungsgericht hat ausschließlich über einen nichtkriegerischen Luftzwischenfall entschieden", so Wiefelspütz in einem Interview. Bei der Abwehr eines Terrorangriffs von außen, der sich mit polizeilichen Mitteln nicht abwehren lasse und im Schadensausmaß einem herkömmlichen militärischen Angriff mit Soldaten gleichkomme, "müssen die Regeln für die Landesverteidigung gelten.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.02.2006 festgestellt, daß der Abschuß eines mit Passagieren besetzen Flugzeugs nicht mit unserer Verfassung zu vereinbaren ist, weil man nicht Leben gegen Leben aufrechnen dürfe. Diese Ohnmacht stört Sie nun also und bringt Sie auf die perfide Idee, die Entführung eines Flugzeugs zum Verteidigungsfall zu erklären. Dann gälte nach Ihren Plänen das Kriegsrecht und Sie dürften praktisch tun und lassen, was Sie wollen. Das Urteil des BVerfG wäre dann nämlich nicht mehr relevant.

Gehen wir einmal davon aus, daß der Fall eintrifft. Ein paar Terroristen haben ein Flugzeug entführt und sie drohen damit, es als Waffe einzusetzen. Sie geben nun also den Abschußbefehl und entziehen damit ein paar hundert Menschen an Bord ihr eigentlich grundrechtlich verbrieftes Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit. Aber auf welcher Grundlage?

  • Wissen Sie, ob Sie mit der Tötung dieser Passagiere auch nur ein einziges Leben retten? Möglicherweise mißlingt der Plan der Terroristen. Oder sie werden von den Passagieren überwältigt. Oder dem Piloten gelingt es, die Maschine zu landen. Oder die Terroristen überlegen es sich anders. Oder sie verfehlen schlicht und ergeifend das anvisierte Ziel. Indem Sie all diesen Möglichkeiten vorgreifen und Menschenleben aufgrund Ihrer persönlichen Spekulationen präventiv vernichten, machen Sie sich und gleich auch noch den Bundeswehrpiloten, der den Befehl ausführt, zum Mörder.
  • Sind Sie sicher, daß Sie durch einen Abschuß nicht noch mehr Menschen umbringen, als dies der Fall gewesen wäre, wenn Sie nicht eingegriffen hätten? Deutschland ist sehr dicht besiedelt. Zwar kann man versuchen, ein Flugzeug so abschießen, daß es über unbewohntem Gebiet abstürzt; Dennoch kann es leicht passieren, daß das Flugzeug noch eine gute Strecke zurücklegt, ehe es am Boden zerschellt. Der verzweifelte Pilot wird jedenfalls sein Bestes geben, die Maschine in der Luft zu halten. Oder das Gebiet ist so dicht besiedelt, daß es überhaupt kein geeignetes Feld gibt. Tatsächlich ist das alles kaum planbar. Was also ist, wenn durch den Abschuß mehr Leben ausgelöscht werden, als es ohne Ihr Eingreifen der Fall gewesen wäre?
  • Wollen Sie wirklich abwägen, wessen Leben lebenswerter ist? Gesetzt dem Fall, der Abschuß gelingt. Dann haben Sie - von den obigen Unabwägbarkeiten einmal abgesehen - möglicherweise ein paar Menschen geopfert und ein paar andere dafür gerettet. Wie gesagt: Vielleicht. Was ist dabei Ihr Kriterium? Die bloße Zahl der ihrer Meinung nach gefährdeten Menschenleben? Ihre gesellschaftliche Bedeutung? Angenommen, ein VIP sitzt an Bord. Wieviele unbedeutende Menschenleben ist Ihnen diese Prominenz wert? Und sind Sie sicher, daß durch Ihre Intervention nicht ein Mensch getötet wird, der u.U. von ganz erheblicher Bedeutung für unsere Gesellschaft gewesen wäre? Wie wäre Ihre Entscheidung, wenn eine Person betroffen wäre, die Ihnen persönlich sehr nahesteht?

Alle diese Fragen haben sich die Richter am Bundesverfassungsgericht gestellt und Sie sind nach reiflicher Überlegung zu dem einzigen, ethisch vertretbaren Ergenbis gekommen, daß eine solche Entscheidung nicht gesetzlich geregelt werden kann und daß sich überdies kein Mensch anmaßen darf, Menschenleben gegeneinander aufzurechnen. Was, sehr geehrte Damen und Herren in der Politik verstehen Sie an diesen simplen überlegungen nicht? Oder ertragen Sie es einfach nur nicht, nicht diese Allmacht und Entscheidungsfreiheit zu haben, die Sie wünschen? Oder fühlen Sie sich gegenüber Ihren Kollegen in den USA oder österreich zurückgestellt, weil die nach deren Rechtsordnung Flugzeuge abschießen dürfen?

Herr Jung meint, der Staat müsse auch in so einer Situation handlungsfähig bleiben. Nein, Herr Jung und Herr Schäuble, das muß er nicht! Manchmal ist die moralisch korrekte Handlungsweise ganz einfach diejenige, nicht zu handeln und dem Schicksal seinen Lauf zu lassen.

Daß Herr Schäuble längst nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung steht, sollte hier deutlich werden:

Alle grundrechtlich geschützten Bereiche enden irgendwo. Wo diese Grenzen sind, wie man die gegensätzlichen Interessen abgrenzt, ist Sache des Gesetzgebers.
Welt Online (Interview) 19.01.2008

Artikel 1 (1) GG ist da anderer Meinung:

Die Würde des Menschen ist  unantastbar . Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt
Grundgesetz

16.09.07. Jung würde Befehl zum Abschuss geben

Verteidigungsminister Jung würde ein entführtes Flugzeug, das für Terror-Angriffe benutzt werden soll, notfalls auch ohne gesetzliche Grundlage abschießen lassen:

Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen
Jung

Ich wünsche mir eine verfassungsrechtliche Klarstellung. Aber da gibt es noch keinen Konsens in der Koalition", sagte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) im FOCUS-Interview. "Deshalb müsste ich im Notfall vom Recht des übergesetzlichen Notstands Gebrauch machen: Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen.

Jung räumte ein, dass zwar das Bundesverfassungsgericht den Abschuss eines gekaperten Passagierflugzeugs auf die Fälle beschränkt habe, in denen nur Terroristen und keine Unschuldigen an Bord sind. "Aber wenn es eine gemeine Gefahr ist oder die Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, dann gelten andere Regeln".

Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister Jung,

 

Sie sagen, Sie würden ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug abschießen, weil dies ein Übergesetzlicher Notstand  sei. Wäre dieser hypothetische Fall in der Politik noch niemals diskutiert worden und von einem Gericht noch niemals darüber entschieden worden, dann könnte man Ihnen zugute halten, daß im Fall der Fälle ja jemand eine Entscheidung treffen müßte.

Nun ist aber genau dieses Szenario in aller Ausführlichkeit in der Politik diskutiert worden, weil schon Politiker vor Ihnen auf diese Idee kamen und unbedingt ein solches Gesetz haben wollten. Eben darum hat sich dann auch noch das Bundesverfassungsgericht eingehend damit beschäftigen müssen und anschließend klar und deutlich festgestellt, daß der Abschuß eines gekaperten Passagierflugzeugs verfassungswidrig wäre, weil dies eine Entscheidung über Leben und Tod unschuldiger Menschen wäre und  Menschenleben nicht gegeneinander aufgerechnet werden dürfen. Punkt! 

Daß Sie sich vor diesem Hintergrund hinstellen und in aller Öffentlichkeit verkünden, daß Ihnen das alles egal ist und Sie es trotzdem tun würden, ist meiner Meinung nach ein politischer Skandal, der es rechtfertigt, Ihren sofortigen Rücktritt zu fordern. Sie räumen mit Ihrer Aussage immerhin ein, daß Ihnen Recht und Gesetz im Zweifelsfall egal sind und daß Sie einfach tun würden, was Sie persönlich für richtig halten.  Willkür  also. Nicht nur, daß Ihnen das Urteil der Verfassungsrichter und damit die Verfassung selbst egal ist, würden Sie darüberhinaus Gott spielen und in Friedenszeiten über Leben und Tod unschuldiger Menschen entscheiden. Um es ganz deutlich zu sagen reden wir hier über den Straftatbestand des Mordes, denn Sie können sich nicht mehr auf eine undefinierte (Not-) Situation berufen, nachdem die Frage sowohl politisch als auch juristisch bis ins Detail ausdiskutiert und eindeutig geklärt wurde. Damit sind Sie eine Gefahr für die Allgemeinheit, denn Ihr Ansinnen offenbart ja nicht nur, daß Sie in diesem konkreten Fall eigenmächtig und willkürlich handeln würden, sondern daß Sie prinzipiell bereit sind, ihr eigenes Moralverständnis über geltendes Recht zu stellen und die Macht Ihres Amtes entsprechend zu mißbrauchen. Damit sind Sie in Ihrer Position als Verteidigungsminister absolut untragbar geworden.

Außerdem geben Sie dem Volk ein denkbar schlechtes Beispiel. Auch von Ihren Soldaten erwarten Sie ja schließlich, daß sie sich an Recht und Ordnung halten. Das geht sogar so weit, daß es Ihren Soldaten unter Androhung von Strafe untersagt ist, rechtswidrige Befehle auszuführen. Ein Bundeswehrpilot, der Ihren Befehl zum Abschuß eines Passagierflugzeuges ausführen würde, würde sich also zu Ihrem Mordkomplizen machen.

Leider fürchte ich, daß Ihre Äußerungen - wie neuerdings in der Politik üblich - ohne jede Konsequenz bleiben werden. In einer Zeit, in der ein Bundesinnenminister ungestraft und in aller Öffentlichkeit über die Internierung und sogar die gezielte Tötung verdächtiger Personen nachdenken darf und die Bundeskanzlerin dies noch mit der Worten verteidigt, daß es im Kampf gegen den Terror keine Denkverbote geben dürfe, wundert mich wirklich gar nichts mehr. Es ist einfach nur traurig, was für ein unmoralischer, verkommener und - vor allem - verfassungsfeindlicher Haufen die Union heute ist. Herr Jung, merken Sie sich doch bitte einfach, daß es weder für Sie, noch für mich so etwas wie einen  übergesetzlichen Notstand  gibt. Die Gesetze sind eindeutig und sie gelten zum Glück für uns alle. Sogar für den Verteidigungsminister.

Nachtrag: Trotz aller Diskussionen und Debatten hat Herr Jung seine verfassungsfeindliche Meinung am 13.12.2007 um 13:25 in einem ZDF-Interview im Mittagsmagazin noch einmal bekräftigt und es als vornehmste Aufgabe des Staates bezeichnet, das Volk gegen Angriffe zu schützen. Der Verteidigungsminister will also trotz eines eindeutigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts immer noch unschuldige Menschen opfern. Wie kann es eigentlich sein, daß solche Leute als Minister im Amt bleiben? Was ist nur los in Deutschland?

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