Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
Der äußere Tatbestand von § 223 Abs. 1 StGB ist erfüllt.
Nicht erfüllt sind die Voraussetzungen von § 224 Abs. 1 Nr. 2,
Alternative 2 StGB. Das Skalpell ist kein gefährliches Werkzeug im Sinne
der Bestimmung, wenn es - wie hier - durch einen Arzt bestimmungsgemäß
verwendet wird (vgl. BGH NJW 1978, 1206; NStZ 1987, 174).
Die aufgrund elterlicher Einwilligung aus religiösen Gründen von
einem Arzt ordnungsgemäß durchgeführte Beschneidung eines
nicht einwilligungsfähigen Knaben ist nicht unter dem Gesichtspunkt
der sogenannten "Sozialadäquanz" vom Tatbestand ausgeschlossen. Die
Entwicklung der gegenteiligen Auffassung durch Exner (Sozialadäquanz
im Strafrecht - Zur Knabenbeschneidung, Berlin 2011, insbesondere Bl. 189 f.)
überzeugt nicht. Die Eltern bzw. der Beschneider sollen demnach nicht
über § 17 StGB entschuldigt sein. Der Veranlassung der Beschneidung
durch die Eltern soll auch keine rechtfertigende Wirkung zukommen, da dem Recht der
Eltern auf religiöse Kindererziehung in Abwägung zum Recht des Kindes auf
körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung kein Vorrang zukomme,
so dass mit der Einwilligung in die Beschneidung ein Widerspruch zum
Kindeswohl festzustellen sei. Gleichwohl soll der gegen das Kindeswohl
verstoßende und nicht entschuldigte Vorgang sozial unauffällig, allgemein
gebilligt und geschichtlich üblich und daher dem formellen
Strafbarkeitsverdikt entzogen sein.
Nach richtiger Auffassung kommt der Sozialadäquanz neben dem Erfordernis
tatbestandspezifischer Verhaltensmissbilligung keine selbstständige
Bedeutung zu. Die Sozialadäquanz eines Verhaltens ist vielmehr lediglich die
Kehrseite dessen, dass ein rechtliches Missbilligungsurteil nicht
gefällt werden kann. Ihr kommt nicht die Funktion zu, ein vorhandenes
Missbilligungsurteil aufzuheben (vgl. Freund in: Münchener Kommentar
zum StGB, 2. Aufl., vor §§ 13 ff. Rn. 159; im Ergebnis
ebenso: Fischer, StGB, 59. Aufl., § 223 Rn. 6 c, anders noch
bis zur 55. Aufl., § 223 Rnr. 6 b; wie hier ferner: Herzberg,
JZ 2009, 332 ff.; derselbe Medizinrecht 2012, 169 ff.;
Putzke NJW 2008, 1568 ff.; Jerouschek NStZ 2008, 313 ff.;
a.A. auch: Rohe JZ 2007, 801, 802 und Schwarz JZ 2008, 1125 ff.).
Die Handlung des Angeklagten war auch nicht durch Einwilligung gerechtfertigt.
Eine Einwilligung des seinerzeit vierjährigen Kindes lag
nicht vor und kam mangels hinreichender Verstandesreife auch nicht
in Betracht. Eine Einwilligung der Eltern lag vor, vermochte indes die
tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu
rechtfertigen.
Gemäß § 1627 Satz 1 BGB sind vom Sorgerecht nur
Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohl des Kindes dienen. Nach wohl
herrschender Auffassung in der Literatur (vgl. Schlehofer in: Münchener
Kommentar zum StGB, 2. Aufl., vor §§ 32 ff. Rn. 43;
Lenckner/Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., vor
§§ 32 ff. Rn. 41; Jerouschek NStZ 2008, 313, 319;
wohl auch Exner a.a.O.; Herzberg a.a.O.; Putzke a.a.O.) entspricht die Beschneidung
des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der
Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiös
gesellschaftlichen Umfeldes noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts
dem Wohl des Kindes. Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1,
6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes
auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß
Artikel 2 Abs.1 und 2 Satz 1 GG begrenzt. Das Ergebnis folgt
möglicherweise bereits aus Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 136
Abs. 1 WRV, wonach die staatsbürgerlichen Rechte durch die Ausübung
der Religionsfreiheit nicht beschränkt werden (so: Herzberg JZ 2009, 332,
337; derselbe Medizinrecht 2012, 169, 173).
Jedenfalls zieht Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Grundrechten
der Eltern eine verfassungsimmanente Grenze. Bei der Abstimmung der betroffenen
Grundrechte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu
beachten. Die in der Beschneidung zur religiösen Erziehung liegende Verletzung
der körperlichen Unversehrtheit ist, wenn sie denn erforderlich
sein sollte, jedenfalls unangemessen. Das folgt aus der Wertung des
§ 1631 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zudem wird der Körper des Kindes
durch die Beschneidung dauerhaft und irreparabel verändert. Diese
Veränderung läuft dem Interesse des Kindes später selbst
über seine Religionszugehörigkeit entscheiden zu
können zuwider. Umgekehrt wird das Erziehungsrecht der Eltern nicht
unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten sind abzuwarten, ob sich
der Knabe später, wenn er mündig ist, selbst für die Beschneidung
als sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam entscheidet
(zu den Einzelheiten vgl.: Schlehofer a.a.O.; a.A. im Ergebnis Fischer, 59. Aufl.,
§ 223 Rn. 6 c; inzident wohl auch: OLG Frankfurt NJW 2007, 3580;
OVG Lüneburg NJW 2003, 3290; LG Frankenthal Medizinrecht 2005, 243, 244;
ferner Rohe JZ 2007, 801, 802 jeweils ohne nähere Erörterung der Frage).
Schwarz (JZ 2008, 1125, 1128) bewertet die Einwilligung unter Berücksichtigung
verfassungsrechtlicher Kriterien als rechtfertigend, er geht jedoch nur auf
die Elternrechte aus Artikel 4 und 6 GG, nicht hingegen â was
notwendig wäre - auf die eigenen Rechte des Kindes aus Artikel 2 GG ein.
Seine Auffassung kann schon aus diesem Grunde nicht überzeugen.
Der Angeklagte handelte jedoch in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum und
damit ohne Schuld (§ 17 Satz 1 StGB).
Der Angeklagte hat, das hat er in der Hauptverhandlung glaubhaft geschildert,
subjektiv guten Gewissens gehandelt. Er ging fest davon aus, als frommem Muslim und
fachkundigem Arzt sei ihm die Beschneidung des Knaben auf Wunsch der Eltern aus
religiösen Gründen gestattet. Er nahm auch sicher an sein Handeln sei
rechtmäßig.
Der Verbotsirrtum des Angeklagten war unvermeidbar. Zwar hat sich der Angeklagte
nicht nach der Rechtslage erkundigt, das kann ihm hier indes nicht zum Nachteil
gereichen. Die Einholung kundigen Rechtsrates hätte nämlich zu keinem
eindeutigen Ergebnis geführt. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum
wird bei ungeklärten Rechtsfragen angenommen, die in der Literatur nicht
einheitlich beantwortet werden, insbesondere wenn die Rechtslage insgesamt
sehr unklar ist (vgl. Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl.,
§ 17 Rn. 58; Vogel in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl.,
§ 17 Rn. 75; BGH NJW 1976, 1949, 1950 zum gewohnheitsrechtlichen
Züchtigungsrecht des Lehrers bezogen auf den Zeitraum 1971/1972).
So liegt der Fall hier. Die Frage der Rechtmäßigkeit von
Knabenbeschneidungen aufgrund Einwilligung der Eltern wird in Rechtsprechung
und Literatur unterschiedlich beantwortet. Es liegen, wie sich aus dem
Vorstehenden ergibt, Gerichtsentscheidungen vor, die, wenn auch ohne
nähere Erörterung der wesentlichen Fragen, inzident von der
Zulässigkeit fachgerechter, von einem Arzt ausgeführter
Beschneidungen ausgehen, ferner Literaturstimmen, die sicher nicht unvertretbar
die Frage anders als die Kammer beantworten.