Inhalt:

  1. Beschneidungen in Deutschland: Argumente
  2. Beieinträchtig von Rechten, wenn Beschneidungen legalisiert würden
  3. Antwort von Frau Leutheusser-Schnarrenberger vom 25.07.2012
  4. 4. Das neue Grundgesetz ab Januar 2013

 

1. Beschneidungen in Deutschland: Argumente

"Ein deutscher Richter soll doch lieber das Maul halten, statt das Kindes­wohl als Argu­ment gegen die Beschnei­dung anführen, solange durch den Alkohol- oder Nikotin­miss­brauch werdender Mütter lebens­lang geschädigte Kinder zur Welt kommen" (Andreas Nachama, Rabbiner).

Der Unterschied nennt sich Vorsatz. Bei Schädigungen durch Alkohol, Niko­tin oder durch andere Ursachen des all­täglichen Lebens geschieht das in der Regel nicht vor­sätzlich, sondern durch Unauf­merksam­keit, Un­acht­samkeit, Fahr­lässig­keit, Gedanken­losig­keit oder einfach auch Dumm­heit. Aber nicht vor­sätzlich, wie das bei Beschnei­dungen der Fall ist. Nichts­desto­trotz können aber selbst­verständ­lich auch fahr­lässige Körper­ver­letzungen an­gezeigt werden! Ebenso ist es einem ver­letzten oder geschädigten Kind mit guten Chancen möglich, auch seine eigenen Eltern zu ver­klagen.

Dann dürfen die Christen auch keine kleinen Kinder konfirmieren.

Bei der Konfirmation oder der Kommunion sind die Kinder in einem Alter, in dem sie zumindest ansatz­weise in der Lage sind, zu begreifen, was da über­haupt geschieht. Zudem werden bei diesen Ritualen dem Kind weder Schmerzen noch irreperable körperliche Schäden zugefügt, wie das bei der Be­schnei­dung der Fall ist. Schluß­end­lich werden die Kinder gefragt und es wird nicht ein­fach gemacht.

Und was ist mit Ohrlöchern?

Die meisten Ohrlöcher werden bei Kindern sicher auf deren eigenen Wunsch hin und des­halb in fort­geschrittenem Alter gestochen. Die Zahl der Eltern, die ihren Kindern im Säuglings- oder Klein­kindes­alter Ohr­löcher stechen lassen, dürfte sehr begrenzt sein und in diesen Fällen handelt es sich selbst­verständ­lich eben­falls um eine Kör­perver­letzung. Nur hat bisher wohl noch kein Gericht darüber entscheiden müssen, weil noch kein Kind seine Eltern straf- oder zivil­rechtlich dafür zur Verant­wortung gezogen hat. So wie offen­bar bisher noch kein jüdisches oder muslimisches Kind seine Eltern wegen der Beschnei­dung belangt hat.

Was für eine Aufregung wegen diesem unnützen Stück Haut!

Dieses unnütze Stück Haut ist nicht unnütz, wie uns Wikipedia erklärt:
 Während des ganzen Lebens hält die Vorhaut die Eichel zart und feucht und schützt sie vor Ver­letzungen, Reibung und Aus­trocknung. Reibung (auch durch Klei­dung) führt zu Ver­ringerung der Reiz­barkeit. Die Vorhaut enthält zahl­reiche Meissnersche Tast­körperchen, die durch Dehnung stimuliert werden.

Das Beschneiden lassen der Kinder steht unter dem Schutz der Religions­freiheit

Die Freiheiten enden in unserem Rechts­staat prinzi­piell dort, wo die Rechte der anderen verletzt werden. Konkret endet die Religions­freiheit der Eltern also dort, wo die Rechte der Kinder beginnen. Und die Rechte der Kinder werden bei einer Be­schneidung nicht nur in einem Grund­recht tangiert, sondern in dreien: Dem Recht auf Menschen­würde, dem Recht auf körper­liche Unversehrt­heit und - wohlgemerkt - dem Recht auf freie Religions­ausübung. Letzteres weil der beschnittene Penis ein religiöses Symbol ist, welches wie ein Brand­zeichen nie wieder ent­fernt werden kann. Das Kind läuft also den Rest seines Lebens mit einem religösen Symbol durch die Gegend, was sehr wohl eine massive Ein­schränkung der Religions­freiheit dar­stellt.

Dann ist Impfen auch eine Körperverletzung

Die Impfung ist medi­zinisch indiziert und dient dem Wohle des Kindes und bei besonderen Krankheiten auch dem Wohl der ganzen Bevölkerung. Zumindest gilt das für die empfohlenen Impfungen und ist streng wissen­schaftlich erforscht und gesetz­lich sowie gesell­schaft­lich anerkannt. In Deutschland gibt es übrigens der­zeit keine Impf­pflicht.

Die Beschneidung hat gesundheitliche Vorteile ähnlich wie Impfungen

Die gesundheitlichen Vorteile einer Beschneidung mögen in früheren Zeiten unter schlechten hygienischen Bedingungen ein trag­fähiges Argument gewesen sein. Hier in Deutsch­land gibt es aber Wasser und Seife. Daß die Beschnei­dung angeblich die Übertragung von Aids ver­hindert, ist blanker Unsinn und etwaige Statistiken, die das belegen sollen, sind wohl eher dahinhgehend zu deuten, daß in Kulturen, in denen beschnitten wird, bestimmte Sexual­praktiken, bei denen das Verletzungs­risiko höher ist, streng verboten sind.

Es ist nur ein klitzekleiner Eingriff, was soll die Aufregung?

Es geht in der Diskussion nicht um den Ein­griff als solchen, sondern um dessen Folgen. Würde man das Argument gelten lassen, es wäre ja nur ein kleiner Schnitt, dann könnte man jemandem auch das Trommel­fell ent­fernen lassen oder eine Artie durchtrennen. Das soll kein Ver­gleich sein, sondern illustrieren, daß auch kleine Eingriffe große Wirkungen haben können. Ein kleiner Stein im Getriebe einer Maschine kann eine ganze Firma für Wochen oder für immer außer Gefecht setzen. Die Folgen des klitzekleinen Eingriffs einer Beschnei­dung sind, daß der Mann eines Teils seines Geschlechts­teils beraubt wird und damit sein Leben ver­bringen muß ob er will oder nicht. Das ist ein riesiger Eingriff in die Selbst­bestimmung.

Wir machen das schon seit 3700 Jahren so und es ist unsere religiöse Pflicht.

Nur weil man etwas schon lange so macht, muß man es nicht immer so weiter­machen. Die Christen haben früher Hexen verbrannt und Teufel aus­getrieben. Die Christen haben das überwunden, dann können die Juden und Muslime das auch.

Die Beschneidung dient dem Wohle des Kindes, weil ein unbeschnittenes Kind ausgegrenzt wird.

Das ist kein Argument, denn es liegt ja in der Hand der Juden und Muslime selbst, wenn sie nicht­beschnittene Juden und Muslime aus­grenzen. Man kann nicht einen Nach­teil als Argu­ment geltend machen, für welchen man selbst ver­antwortlich ist.

Erst durch die Beschneidung werden wir von Gott akzeptiert und gehen ein Bündnis mit ihm ein

Was für ein Gott soll das sein, der seine Geschöpfe erstens nicht so liebt, wie er sie er­schaffen hat und zweitens kleinen Kinden so eine schmerz­hafte Prozedur ab­verlangen will? Sollte es so einen un­barmherzigen Gott geben, legte ich keinen Wert darauf, von ihm akzeptiert zu werden oder gar ein Bündnis mit ihm einzugehen.

Durch die Beschneidung wird ein Junge erst zum Mann.

Das Argument schreibe ich hier nur der Vollständig­keit halber hier hin, weil mir auch das schon zu Ohren gekommen ist. Ein Gegen­argument erübrigt sich wohl für diesen archaischen Unsinn.

Wenn die Beschneidung nicht legali­siert wird, wird das künftig in Hinter­zimmern gemacht. Von Amateuren unter unhygienischen Bedingungen und zum Schaden der Kinder.

Mit diesem Argu­ment müßte man beispiels­weise auch Heroin im Super­markt an­bieten . Außer­dem werden Beschnei­dungen auch heute bereits zu einem großen Teil unter unhygienischen Bedingungen und von medizinischen Laien mit der freien Hand (und mit dem Mund, wodurch es schon zu töd­lichen Infek­tionen kam!) durch­geführt. Meist auch ohne jede Betäubung, weil der Einsatz von Betäubungs­mitteln bei Säug­lingen und Klein­kindern riskant ist. Befür­worter der Beschnei­dung behaupten übrigens, Säug­linge empfinden keinen Schmerz. Das ist schlicht­weg falsch.

 

2. Beieinträchtig von Rechten, wenn Beschneidungen legalisiert würden

RechtnormBeeinträchtigung KindBeeinträchtigung Eltern

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unan­tastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Ver­pflichtung aller staat­lichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grund­lage jeder mensch­lichen Gemein­schaft, des Friedens und der Gerechtig­keit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grund­rechte binden Gesetz­gebung, voll­ziehende Gewalt und Recht­sprechung als unmittel­bar geltendes Recht.

(2) würde verletzt. Deutschland hat die EU Menschen­rechts­kovention und die UN-Kinder­rechts­konvention anerkannt und unter­zeichnet.

Keine Beeinträchtigung

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die ver­fassungs­mäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist un­verletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes ein­gegriffen werden.

(1) würde verletzt. Zur Entfaltung der Persönlich­keit gehört auch die Sexualität des heran­wachsenden Kindes. In diese wird durch die Beschnei­dung ein­gegriffen, denn es ist unter Experten untrittig, daß die Beschnei­dung die Mastur­bation er­heblich erschwert und die sexuelle Empfindungs­fähigkeit beein­trächtig.

(2) wird verletzt. Durch die Amputation der Vor­haut wird die körperliche Un­versehrt­heit ver­letzt

Keine Beeinträchtigung nach (1) wegen
soweit er nicht die Rechte anderer verletzt

Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tat­sächliche Durch­setzung der Gleich­berechti­gung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseiti­gung bestehender Nach­teile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benach­teiligt oder bevor­zugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benach­teiligt werden.

(1) Würde bei Legalisierung männlicher und gleich­zeitiger Straf­barkeit weiblicher Beschnei­dung ein­deutig verletzt.

(2) Würde ebenfalls verletzt, denn der Staat würde gerade nicht auf die Beseiti­gung bestehender Nach­teile hin­wirken, sondern durch ein Gesetz, welches männlichen Kindern geringeren Schutz als weiblichen einräumt, selbst solche Nach­teile schaffen.

(3) würde verletzt. Wenn die Religions­zugehörig­keit darüber ent­scheidet, ob die Eltern dem Kind Kör­perver­letzungen antun dürfen oder nicht, werden einzelne Glaubens­richtungen je nach Sicht­weise gegenüber anderen Glaubens­richtungen besser- bzw. schlechter gestellt.

Keine Beeinträchtigung

Artikel 4

(1) Die Frei­heit des Glaubens, des Gewissens und die Frei­heit des religiösen und welt­anschau­lichen Bekenntnisses sind unverletzlich.

(2) Die ungestörte Religions­aus­übung wird gewähr­leistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegs­dienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundes­gesetz.

(1) würde verletzt. Ein elter­lich bestimmtes religiöses Bekennt­nis in Form einer Beschneidung ist die Ver­letzung der Frei­heit des Kindes, selbst über die Abgabe des Bekennt­nisses zu ent­scheiden. Die grund­rechtlich garantierte Frei­heit somit nicht mehr gegeben.

(1) und (2) würden verletzt. Durch die Beschnei­dung wird das Recht des Kindes auf freie Religions­aus­übung ein­geschränkt, da der beschnittene Penis ein religiöses Symbol ist und die Ent­fernung der Vor­haut irrever­sibel ist. Das Recht auf freie Religions­aus­übung des Kindes ist lebens­lang beeiträchtigt.

(2) würde eingeschränkt

Artikel 6

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staat­lichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natür­liche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. über ihre Betätigung wacht die staat­liche Gemein­schaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungs­berechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungs­berechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahr­losen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Für­sorge der Gemein­schaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetz­gebung die gleichen Bedingungen für ihre leib­liche und seelische Entwick­lung und ihre Stellung in der Gesell­schaft zu schaffen wie den ehe­lichen Kindern.

Keine Beeinträchtigung

(2) würde eingeschränkt

Artikel 9 ERMK

Europäische Menschenrechtskonvention

(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder Welt­anschauung zu wechseln, und die Frei­heit, seine Religion oder Welt­anschauung einzeln oder gemein­sam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottes­dienst, Unter­richt oder Prakti­zieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.

(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

(1) würde verletzt. Ein Kind, dem durch Beschneidung des Genitals das religiöse Symbol aufgezwungen wurde, ist eine freie Religionsausübung nicht in dem Maße mehr möglich, wie es anderen Menschen möglich ist.

(2) Das Praktizieren von Bräuchen und Riten würde enge­schränkt

Artikel 24

UN-Kinderrechtskonvention

(1) [...]

(2) [...]

(3) Die Vertragsstaaten treffen alle wirksamen und geeigneten Maß­nahmen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, ab­zuschaffen.

(4) [...]

(3) würde verletzt. Jede Operation birgt Risiken. Beschnei­dungen ver­laufen mitunter sogar töd­lich. Medizinisch nicht indi­zierte Operationen sind damit für die Gesund­heit des Kindes schädlich.

Keine Beeinträchtigung

§ 1631 BGB

(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beauf­sichtigen und seinen Aufent­halt zu bestimmen.

(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Kör­perliche Bestrafungen, seelische Ver­letzungen und andere ent­würdigende Maß­nahmen sind unzulässig.

(3) Das Familien­gericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personen­sorge in geeigneten Fällen zu unter­stützen.

(2) würde verletzt. Beschneidungen an Geschlechtsteilen sind (sexuelle) Gewalt.

(1) würde eingeschränkt

3. Antwort von Frau Leutheusser-Schnarrenberger vom 25.07.2012

Am 19.07.2012 hat das Parlament einen Entschließung­santrag angenom­men, nachdem die Regierung zügig ein Gesetz vorlegen soll, um Beschneidungen in Deutschland rechts­sicher zuzu­lassen. Am selben Tag habe ich ein Protest­schreiben per E-Mail an unsere Justiz­ministerin geschrieben. Am 25.07.2012 kam dann die Antwort. Zu dem Zeit­punkt war die Dis­kussion um das Urteil des Kölner Land­gerichts schon fast einen Monat im Gange und die Justiz­ministerin hätte wahrlich Zeit gehabt, sich hin­reichend zu informieren. Ihre Ant­wort ist aber leider ernüchternd und zeugt ent­weder von absolutem Nicht­wissen oder dem Vor­satz, Bedenken in der Bevölkerung durch gezielte Des­information zu zer­streuen. Man bekommt auch leicht den Eind­ruck, Frau Leutheusser-­Schnarrenberger hat schlicht und ergreifend die faulen Schein­argumente abge­schrieben, die man ihr von Seiten der Kirchen­lobby vor­gelegt hat. Hier die Antwort und meine Kommentare jeweils darunter.

LH-S:  Sehr geehrter Herr Wacker,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben und Ihre kritische Kommen­tierung der aktuellen Debatte um die nicht medizinisch indizierte Zir­kumzision von Jungen in Deutsch­land. Die breite gesell­schaftliche Debatte hat sich nach einer Entscheidung des Land­gerichts Köln (Az. 151 Ns 169/11) ent­wickelt. Die Entscheidung war eine Einzel­fallentschei­dung, die formell keinerlei Binde­wirkung auf andere Gerichte ent­faltet. Dennoch führt die im Urteil vertretene Rechts­auf­fassung zu Rechts­unsicher­heit bei Mit­gliedern zweier großer Glaubens­gemeins­chaft in Deut­schland und bei Ärzten, für die in der Ver­gangen­heit die nicht medizinisch indi­zierte Zirkum­zision von Jungen ein Routine­eingriff war.

Wie Sie sicher wissen, ist diese Prozedur im jüdischen und mus­limischen Glauben und bei einigen christlichen Gruppen ein seit mehreren Jahr­hunderten praktizierter Brauch. Im Falle des Juden­tums ist eine Beschnei­dung bis zum achten Lebens­tag sogar ein integraler und zwingender Bestand­teil der Religions­aus­übung. Laut Schätzungen der Welt­gesund­heits­organisation sind ca. 33% der männ­lichen Welt­bevölkerung beschnitten.

Die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und das Erziehungs­recht der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG) sind hoch bedeutsame ver­fassungs­rechtliche Güter. Sie erlauben in gewissen Fällen auch, dass in die körper­liche Unversehrt­heit (Art. 2 GG) von nicht zustim­mungs­fähigen Kindern ein­gegriffen werden kann.

WW: Das ist richtig, Frau Leutheuser-­-Schnarrenberger. Die ganze Wahr­heit lautet aber, daß diese Eingriffe in die körper­liche Unversehrt­heit nach dem Straf­recht und dem BGB nur dann zulässig sind, wenn sie dem Wohle des Kindes dienen. Das ist aber nach gängiger Rechts­meinung wie ich mir habe sagen lassen nur dann der Fall, wenn der Ein­griff a) medizinisch indiziert ist und dem b) Kindes­wohl dient. Religös motivierte Beschnei­dungen sind gerade nicht medizinisch indi­ziert und ob sie an­gesichts der Gefahr von Kompli­kationen, der erheb­lichen Schmerzen und den späteren Beein­trächti­gungen dem Kindes­wohl dienen, wage ich zu bezweifeln.

LH-S:  Die Abwägung dieser Verfassungs­güter wird in diesem Fall auf Grund der hohen Sensi­bilität durch den Gesetz­geber durchgeführt. Der Staat tut in einer frei­heit­lichen rechts­staatlichen Gesell­schaft gut daran, diese Verfassungsgüter bestmöglich in Einklang zu bringen.

WW: Es gibt hier gar nichts abzuwägen, denn das haben die Väter des Grund­gesetzes bereits getan und das spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Reihen­folge der Grund­rechte wieder. Bereits in Artikel 2 GG heißt es in Satz 1, daß jeder das Recht auf die freie Ent­faltung seiner Persön­lich­keit hat (wozu auch die Religions­aus­übung nach Artikel 4 gehört) aber: soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Nun wäre aber eine medizinisch nicht not­wendige Operation eine Ver­letzung des Rechts des Kindes auf körper­liche Unver­sehrt­heit und der freien Ent­faltung der Persön­lich­keit der Eltern hiermit die Grenze gesetzt. Bisher hat man das im Bundes­innen­mini­sterium offen­sicht­lich genau so gesehen und bis zum 27.07.2012 konnte man des­halb dort lesen:
 Das Grundrecht der Reli­gions­freiheit (Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG) ist vor­behaltlos gewähr­leistet, es findet seine Schranken aller­dings in den Grund­rechten anderer Men­schen und sonstigen elementaren Grund­werten der Ver­fassung; ansonsten darf der Gesetz­geber die Religions­freiheit in keiner Weise ein­schränken. [ Quelle ]
Und jetzt, wo es unbequem wird, soll das mit der Grenze nicht mehr gelten? Dann sagen Sie Ihrem Kollegen im Innen­minis­terium, daß er diesen Satz ganz schnell von seiner Web­seite ent­fernen lassen soll, ehe ihn noch jemand ent­deckt. Und wenn Sie selbst das nicht gelten lassen mögen, dann bedenken Sie einfach, daß Artikel 2 (köperliche Unver­sehrt­heit) vor Artikel 4 (Religions­freieheit) aufge­führt wird.

LH-S:  Es wäre jedoch ein ver­heeren­des Zeichen für die jüdische und muslimische Bevölkerung in Deutsch­land und welt­weit, wenn der Eindruck entstünde, dass gerade in Deutsch­land wichtige und alt­her­gebrachte Teile der Religions­aus­übung vieler Millionen Bundes­bürger nicht mehr gewähr­leistet würden.

WW: Ein verheerendes Signal wäre es, wenn sich die bewährten deutschen Gesetze, insbedondere das Grund­gesetz, den Reli­gionen unter­ordnen würden! Machen Sie dann mal den religösen Funda­mentalisten dieser Glaubens­richtungen klar, warum sie sich über­haupt noch an Gesetze halten müssen. Schon längst werden in Deutsch­land Konflikte per Fatwa an der deutschen Justiz vorbei geregelt. Diese Über­legung dürfte übriges der Grund sein, weshalb sich auch der Bund der Kriminal­beamten gegen eine Legali­sierung der Beschneidung aus­gesprochen hat. Außer­dem möchte ich wissen, was das Wörtchen gerade im letzten Satz (mal wieder) bedeuten soll. Gerade in Deutsch­land? Ich weiß wohl um die schlimmen Ver­brechen in der deutschen Geschichte. Ich sehe es aber nicht ein, daß uns diese Geschichte dazu ver­pflichten soll, bis in alle Ewig­keit auch die schlimmsten Fehler dieses Volkes kritik­los hin­zunehmen. Mir persönlich ist es inzwischen egal, wenn auch die leiseste Kritik an einer Sache und sei sie auch noch so berech­tigt, sofort mit Vor­würfen quittiert werden, man sei wahl­weise ein Antisemit oder Rassist oder Nazi. Auch die üblen Holocaust-­Vergleiche des Zentral­rats der Juden, wie sie auch im Zusammen­hang mit dem Beschneidungs­urteil sofort wieder ver­lautbar wurden, überhöre ich einfach nur noch und das sollten sie auch tun.

LH-S:  In Deutschland werden religiös motivierte männliche Genital­beschnei­dungen in der Regel unter klinischen Bedingungen von speziell aus­gebildetem Personal durchgeführt...

WW: Das stimmt nicht so ganz, Frau Leutheusser-­Schnarrenberger. Und das speziell aus­gebildete Personal ist beim jüdischen Volk der sogenannte Mohel. Der mag das Be­schneiden zwar gelernt haben, ist in der Regel aber gerade kein Mediziner.

LH-S: ...und führen dadurch zu vernachlässigbar wenigen gesund­heit­lichen Kompli­kationen.

WW: Die Komplikations­rate liegt bei 2-10% wie sie hier nachlesen können, Frau Leutheusser-­Schnarrenberger. In den USA gibt es jähr­lich bis zu 100 Todes­fälle . Halten Sie das wirk­lich für ver­nach­lässig­bar? Die Beschneidung findet zumindest bei Säug­lingen auch ohne jede Betäu­bung statt, da eine Betäu­bung bei Säug­lingen wegen des hohen Risikos absolut un­verant­wort­bar ist. Ent­gegen der Behauptung der Befür­worter, wonach das Schmerz­empfinden in dem Alter kaum aus­geprägt sei, müssen die Säuglinge empirisch belegt ganz erheb­liche Schmerzen er­tragen. Und es ist auch nicht nur der berühmte kleine Schnitt, sondern die Prozedur zieht sich bis zu einer halben Stunde, bei Kompli­kationen noch er­heblich länger hin. Traumata sind nach­gewiesen, ebenso die Tatsache, daß sich die beschnittenen Kinder zwar auf­grund es Alters nicht mehr bewußt an die Beschnei­dung erinnern, daß der ganze Vor­gang aber mit entsprechenden negativen psychischen Aus­wirkungen im Unter­bewußtsein schlummert.

LH-S:  Der Junge trägt, anders als beispiels­weise bei der weib­lichen Genital­verstümmelung, keine blei­benden Schäden davon.

WW: Auch das ist schlicht und ergreifend gelogen, denn der Ver­lust der Vor­haut ist per se ja schon ein blei­bender Schaden. Es ist ganz schlimm, daß Sie das anders sehen. Ebenso er­füllt die männ­liche Vor­haut von Natur aus bestimmte Auf­gaben und ist keines­falls ein nutz­loses Stück Haut wie das von Befür­wortern der Be­schneidung oft herab­lässig be­hauptet wird. Die männ­liche Vorhaut ist Teil des Sexual­organes und ent­sprechend dicht mit Nerven­zellen durch­drungen. Indem man diesen Teil des männ­lichen Geschlechts­organs ein­fach ab­schneidet, ver­stümmelt man den Penis ebenso wie man weibliche Genitalien durch Weg­schneiden von Teilen ver­stümmelt. Es bei Jungen anders zu nennen als bei Mäd­chen ist eine untrag­bare Ver­harm­losung der männlichen Beschneidung und außer­dem eine Dis­krimi­nierung. Ebenso wie bei Mäd­chen ist die Prozedur unnötig, sehr schmerz­haft und beein­trächtigt für den Rest den Lebens die Sexualität der Betroffenen.

LH-S:  Im Gegenteil: Die Welt­gesund­heits­organisation und die Gesund­heits­behörden in Staaten wie den USA sind, durch wissen­schaft­liche Studien, zu dem Schluss gekommen, dass eine männ­liche Zirkum­zision positive gesund­heitliche Aus­wirkungen hat, zum Bei­spiel bei der Ver­hinderung der An­steckung mit dem HI-Virus.

WW: Und das ist wirk­lich das dümmste Argument, das Sie hier bringen konnten, Frau Leutheusser-­Schnarreberger. Erstens weil das Argument hier fehl am Platze ist, denn die Beschnei­dung wird aus religiösen Gründen und nicht aus hygienischen Gründen durch­g­e­führt. Zweitens weil es schlicht­weg nicht stimmt und die WHO die Beschnei­dung nur in bestimmten Ländern und auch nur bei erwachsenen Personen empfiehlt. Drittens, weil man die ge­nannten posi­tiven Aus­wirkungen in Form eines geringeren Ansteckungs­risikos wohl sehr viel besser und effektiver mit Kondomen erreicht. Oder wollen Sie den Deut­schen ernst­haft die Beschneidung anstelle von Kondomen empfehlen? Viertens haben Säug­linge und Klein­kinder (nach meiner Er­fahrung) eher wenig bis gar keinen Geschlechts­verkehr, so daß es wohl kaum einen Grund gibt, Säug­linge und Klein­kinder zur Prävention von Geschlechts­krank­heiten zu beschneiden. Mit dem Argument haben Sie einfach den Unsinn der Befür­worter nach­geplappert. Und auf dieser Wissens- und Erkenntis­basis wollen Sie ein Gesetz zur Legali­sierung der Beschnei­dung vorlegen?

LH-S:  Deshalb hat sich eine breite Mehrheit im Deutschen Bundes­tag mit dem Beschluss vom 19. Juli (Drucksache 17/10331) für eine gesetz­geber­ische Klar­stellung aus­gesprochen, dass religiös motivierte Zirkum­zision unter klinischen Bedingungen in Deut­schland selbst­ver­ständlich gestattet sein muss. Mein Haus prüft nun mit der gebotenen Sor­gfalt, welche Regelung zu dieser von allen gewünschten recht­lichen Klar­stellung führt, ohne einem Miss­brauch, zum Beispiel der weib­lichen Genital­verstümmelung, Tür und Tor zu öffnen. Einen gesetz­geber­ischen Schnell­schuss wird es dabei nicht geben.

Mit freundlichen Grüßen,

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

WW: Mit freundlichen Grüßen. Winfried Wacker

 

4. Das neue Grundgesetz ab Januar 2013

Achtung Sarkasmus! Wie auch immer. Die Bundes­regierung und die Oppo­sition sind sich jeden­falls einig und wann gab es das schon einmal? Das Herum­schnibbeln am männ­lichen Geschlechts­teil muß - auf Teufel komm raus - legali­siert werden und jede Form der Beschnei­dung der weib­lichen Genitalien muß weiter­hin strafbar sein. Wie man das Grund­rechts­konform hin­kriegen will - keine Ahnung. Man sagt, wo ein Willi ähh.. Wille wär, da wär immer auch ein Weg. Sie werden es also zumindest ver­suchen. Und man darf auch davon aus­gehen, daß sogar das BVerfG beide Augen zudrücken wird, falls das zu erwartende Gesetz einst dort geprüft werden muß, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wäre auch nicht das erste Mal, daß die Rich­ter in den roten Roben ihre Grund­sätze über Bord werfen. Könnte man die ersten Artikel des Grund­gesetzes ändern, wäre es frei­lich etwas ein­facher:

Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist nur aus religösen Gründen antast­bar. Sie ansonsten zu achten und zu schützen ist Ver­pflichtung aller staat­lichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu den unter bestimmten Vorraus­setzungen ver­letzl­ichen und ver­äußer­lichen Menschen­rechten als Grund­lage jeder mensch­lichen Gemein­schaft, des Friedens und der Gerechtig­keit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetz­gebung, voll­ziehende Gewalt und Recht­sprechung als unmittel­bar geltendes Recht.

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persön­lichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die ver­fassungs­mäßige Ordnung oder das Sitten­gesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehr­theit. Die Freiheit der Person ist unverletz­lich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes oder eines religösen Brauchs ein­gegriffen werden.

Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind nicht in allen Belangen gleich­berechtigt. Der Staat fördert die tat­säch­liche Durch­setzung der Gleich­berechti­gung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nach­teile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder seiner politischen Anschau­ungen benach­teiligt oder bevor­zugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benach­teiligt werden.

Artikel 4

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Frei­heit des religiösen und welt­anschau­lichen Bekennt­nisses sind un­ver­letzlich und stehen über dem Gesetz.

(2) Die ungestörte Religions­ausübung wird gewähr­leistet.

(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegs­dienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundes­gesetz.

 

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